Foto: Kristien Daem, Brüssel
Gunhild Tuschen
ist es das, was du siehst, oder siehst du das, was es ist?
Galerie im Stammelbachspeicher – 23. April – 21. Mai 2023
Dr. Nancy von Breska Ficović
Einführende Worte zur Vernissage, 23.04.2023
ist es das, was du siehst, oder siehst du das, was es ist?
Der Titel dieser Ausstellung beschreibt sehr klar und umfassend ein Thema, dass die Künstlerin Gunhild Tuschen bereits seit mehr als 10 Jahren beschäftigt: das Sein, Sehen, Erleben, Erkennen.
Gunhild Tuschen fordert uns dabei auf, unsere ersten Eindrücke stets zu hinterfragen. Sie ermutigt uns Zeit mitzubringen, zu verharren, dabei zu entdecken, was wir wirklich sehen. Auf dem Weg zur Antwort, sollen unsere Gedanken frei wandern dürfen, in und zwischen den Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen.
Wichtig ist ihr, die Gemälde nicht zu überfrachten: „Die Bilder müssen atmen können!“ Beim Malen brauche man „Geduld und Zeit“, sagt sie. Eventuelle oder vermeintliche Fehler („pentimenti“) werden bei ihr nicht ausgeglichen, sondern gehören zum Bild, seiner Entstehung, Geschichte dazu. Daher sind ihre Werke in der Regel Momentaufnahmen, teilweise eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen.
Ein Merkmal ihres Schaffens ist es, dass Tuschen energisch und sehr intuitiv arbeitet. Sie schafft in ihrem Atelier Serien, die sehr eng farblich und thematisch miteinander verbunden sind: „Wenn ich in Serie arbeite, kann ich auf eine Reise gehen. Sie dreht sich auf der Suche nach der Form um einen unverrückbaren Kern. Dabei kann sich ein ganzes Universum entwickeln“
Zentral in der Ausstellung im Stammelbachspeicher, Hildesheim hängen die Bilder der Serie „Kadmiumgelb-Zitrone“. Sie sind im vergangenen Jahr, im Sommer 2022 entstanden, allein mit Kadmiumgelb Zitrone, teilweise mit Graphit gemalt und gezeichnet. Tuschen beschreibt treffend diese Serie als eine Gegenreaktion oder Gegenpol zu all dem „Schweren, Überladenen (auch in der Kunst), Bedrückenden, was um uns herum passiert“ in der jüngsten Vergangenheit.
In ihrem Gesamtwerk gibt es wiederkehrende Themen, auf die die Künstlerin immer wieder zurückkommt. Sie sind auch in den hier ausgestellten Werken anzutreffen. Ihre verschiedenen Arbeiten (hier ist nur ein Bruchteil zu sehen) sind auf Papier oder Leinwand entstanden. Aber auch ihre Performances und Fotografie gehören mit zum Schaffen, all diese Facetten beeinflussen sich somit gegenseitig und fließen ineinander über.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass keine Titel neben den ausgestellten Werken zu finden sind. Dies ist Absicht und es handelt sich dabei vor allem um ein Angebot der Künstlerin an den Betrachter. Man soll sich voll auf das Werk konzentrieren können, ohne jegliche Ablenkung durch das geschriebene Wort.
Die Titel, man findet sie dennoch auf ausgelegten Listen im Raum verteilt, sind in 3 verschiedenen Sprachen (Deutsch, English, Flämisch) verfasst. Sie tragen dem internationalen Leben der Künstlerin zwischen Brüssel und Bremen Rechnung. Manchmal sind sie abstrakt und offen gedacht, aber bei manchen Werken gibt sie gerne einen Gedanken mit. Zuletzt ist so die Reihe der insgesamt 55 Aquarelle betitelt: „Es fängt damit an, dass etwas aufhört“. Ihre Werke beziehen die Kraft aus ihrer großen Offenheit für Interpretationen.
Der Titel dieser Ausstellung ist auch der Titel des 2022 erschienenen, hier ausgelegten Katalogs, der auch bei der Künstlerin (website) direkt erworben werden kann. Es ist ein beeindruckendes Zeugnis ihrer Vielseitigkeit als Kunstschaffende, in dem man einen besseren Eindruck von der Fülle und Reichtum Ihres Wirkens des letzten Jahrzehnts bekommen kann.
Der Katalog ist als Gesamtkunstwerk anzusehen, wo Kunst, Graphikdesign, Fotographie und Buchbindekunst zusammenkommen. Neben den zahlreichen Gemälden und Aquarellen, ergibt sich ein Einblick in das breit gestaffelte Schaffen der Künstlerin (ihre vielen Skizzenbücher, zahlreiche Fotographien). Zudem sind Texte der Künstlerin selbst, sowie Texte von Kunsthistorikern, wie H. Sturm und N. von Breska Ficovic zu lesen. Diese Texte sind aus langen Gesprächen, zum Teil in ihrem Brüsseler Atelier, entstanden.
Wir laden Sie nun herzlich dazu ein, diese Auswahl an Werken, die die Künstlerin für den Kunstverein Stammelbachspeicher hier getroffen hat, für sich selbst zu entdecken.
Mit einem abschließenden Zitat von Beuys möchte ich die Ausstellung eröffnen:
„Die Kunst ist das Bild des Menschen selbst. Das heißt, indem der Mensch mit der Kunst konfrontiert ist, ist er im Grunde mit sich selbst konfrontiert.“
Foto: Birgit Wingrat, Bremen