Gunhild Tuschen – Line and Colour
Galerie des Westens GaDeWe, 22.08. - 19.09.2025


Eröffnungsrede zur Ausstellung, Freitag, den 22.08.2025, GaDeWe

Von Norah Limberg

Liebe Gäste, liebe Gunhild, liebes Team der GaDeWe,

Gunhild Tuschen erzählt mir, dass ihr Prozess des Zeichnens und Malens wie die Bewegung durch eine innere Landschaft sei. Sie folge nie einer Konzeption. Ihre Arbeiten sind Momentaufnahmen, die unmittelbar zum Malgrund finden.

Und weil so viel Moment, Prozess und Begegnung in ihren Arbeiten steckt, erzähle ich Ihnen von meinem Atelierbesuch bei Gunhild:

Dienstag, den 15. Juli, 11.17 Uhr.

Ich komme – zugegebenermaßen etwas abgestrampelt (Gegenwind) – in Gunhilds Räume am Klattendiek, derweil noch Baustelle. Handwerker gehen ein und aus und über’s Dach  – der Ort ist im Umbruch, soll Wohnhaus, Atelier und später auch Ausstellungsort werden.

Gunhild sitzt mir gegenüber. Hinter ihr lehnt eine Arbeit aus der Serie „Preußischblau“ auf einem Heizkörper. Der dichte Farbauftrag lässt das blau der Fläche fast schwarz leuchten. Zum linken, unbearbeiteten Bildrand klafft eine Bruchkante. Ich erahne die kurzen Pinselstriche, oder sind es Hiebe? - mit denen Gunhild die Fläche angelegt hat und die den Grund strukturieren.

Ich nehme die Leinwand in die Hand. Ich neige sie im Licht. Ich verändere meine Position zu ihr.

Die räumliche Tiefe der Arbeit und die Intensität der Farbe zeigen sich in meiner Bewegung zum

Bild – preußischblau. Meine Betrachtung ist mehr eine Wanderung, als eine Gleichzeitigkeit. Mein Blick folgt den zuckenden Linien, die Gunhild in die Farbschichten kratzte. Sie driften auseinander, verdichten sich zu Schraffuren, kreuzen sich. Sie bilden Rhythmen oder verhalten sich vielleicht auch völlig zufällig zueinander.

Ich merke: Die expressiven Verläufe der Linien übertragen sich beim Schauen auf meinen Körper und bilden eine Unruhe: Ich nehme Abstand, suche Nähe, wandere durch das Bild und entdecke neue Flächen, Brüche und Möglichkeiten.

Ich frage Gunhild: Warum diese Farbe? Und warum so oft?

Sie grinst etwas verschmitzt und leuchtet auf: „Es schmatzt so schön. Ich gehe gerne mit den Händen rein“. Preußischblau ist Strenge und Kraft auf der einen und Durchlässigkeit, Fluss und Leichtigkeit auf der anderen Seite. Dazwischen? Ein weiter Raum.

Mal eher zaghaft und stark verdünnt durchscheinend, mal tiefsatt lasiert mit hoher Farbkörperdichte, zeigt Gunhild alle Facetten des einen Pigments. Eine auf ein Minimum reduzierte Farbpalette eröffnet eine maximale Auseinandersetzung mit der einen Option. Der Rahmen ist klar: Leinwand, Preußischblau und Gunhild – Dazwischen? Ein weiter Raum. Hinzu kommen Linien aus Graphit und Ölpastellkreiden, die zu den Farbflächen auf-flirren und weitere Nuancierungen hinzufügen: unruhige, elektrisierte, zuckende Pfade in tanzenden Bewegungen.

Flüchtige Anspielungen.

Während sie von der Farbe spricht, beginnt sie mir von ihrem Malprozess zu erzählen. Weniger mit Worten, als mit ihrem Körper. Ihre Hände ahmen die kurzen heftigen Pinselstriche in der Luft nach, die sie einsetzt, um die Fläche zu grundieren. Sie simuliert mit zaghafter Gestik die expressive Linienführung beim Zeichnen. So entstehen Schichten des Farbauftrags, mal in die Oberfläche gesickert, mal hineingekratzt, mal aufliegend. sie arbeitet in die Farbe hinein, legt frei, setzt mal fast rabiate, repetitive Stöße. Ihre Arbeiten bestehen aus Brüchen, Lagen, Durchblicken, Schichten, Kanten, Flächen, Verdichtung --- und weitem Raum.

Sie spannt ihre Arme auf für großflächige Malaufträge – übrigens setzt sie sich ein maximal Maß für ihre Werke: So groß, dass sie sie selbst umschlingen kann. Ihr Körper, ihre Bewegungen sind dem Bild einverleibt und andersrum. Die Art des Farbauftrags scheint Transmitter zu sein für die inneren Erlebnisse – ihre Arbeiten Zeuginnen für die fortdauernden, fast getriebenen Meditationen über die unausweichliche Beziehung, die sie mit sich selbst führt. So entstehen auch ihre Skizzenbücher, eher visuelle Tagebücher. Manchmal arbeitet sie diese in einer Nacht durch. Sie folgt einer Regung, die sie erst loslässt, wenn das Buch gefüllt ist.

Ich merke im Gespräch schnell: Sie spricht von Wut, von Schmerz, von feministischen Kämpfen, von Leichtigkeit und den Aromen des Sommers – kadmiumgelb zitrone - letztendlich von

Lebendigkeit. Ihre Werke zeugen von einer Dringlichkeit des Ausdrucks und der Verarbeitung. Die Serie „preußischblau“ trägt den erweiterten Titel in Klammern: (was sind wir Menschen dumm) Sie schreibt darüber: „Wir wissen um die Zusammenhänge und können doch nicht aufhören, so zu tun, als wüssten wir nichts davon. Wir bestätigen uns in unseren Wiederholungen. Jeden Tag. Wir zerstören die Welt, uns. Wissend, mit offenen Augen. Das kratzt mich.“ Hier führen ihre Arbeiten in eine gesellschaftspolitische Dimension, die sie in ihrem Malprozess ausagiert. Aus der Notwendigkeit der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wird die Unausweichlichkeit des künstlerischen Ausdrucks. Im flow und intuitiv. Keine Rückzieher. Keine Korrekturen. Ihre „Repaintings“ sind eher Weiterverarbeitungen statt Richtigstellungen – zwischen den verschiedenen Stadien liegen 25 Jahre. Ich frage sie: was treibt dich dazu an? Sie zuckt mit den

Schultern – „es musste sein. Die Bilder waren noch nicht fertig.“

Während ich so ihre Arbeiten betrachte, frage ich mich, wie zur Hölle ich es für die Eröffnungsrede hinkriegen soll ihre Werke von ihr und von meiner Betrachtung zu lösen. Wie Sie vielleicht merken, habe ich mich entschieden, dass ich es bleiben lasse. Denn ihre Arbeiten sind unmittelbarer Ausdruck, mein Sehen unmittelbarer Eindruck. Sie sind nicht voneinander zu trennen. Und so koste ich einfach aus, was sie mit mir machen, denn ihre Arbeiten versetzen mich in Bewegung - Dynamiken und Spannungen übertragen sich auf Erleben. Den langen Nachhall merke ich, als ich zwei Wochen später in der Uckermark am See sitze, mein Kind starrt vor mir auf die Wellen, ich esse selbstgepflückte Früchte und frage mich, ob ihr die Farbe von Mirabellen wohl genauso gut wie die von Zitronen gefallen würde.

Irgendwann neigt sich unser Gespräch dem Ende entgegen – ich hoffe der Wind hat sich nicht gedreht. Was nehme ich aus der Begegnung mit?

Gunhild Tuschen erinnert mich daran, dass Körper und Gesellschaft miteinander verbunden sind. Dass alles Menschliche letztendlich körperlich ist und sich nichts ohne Bewegung entwickelt. In einer Welt, die von analytischem Denken, Kalkül, Erörterungen, Strategie, also von der ratio geprägt ist. Dass alles ein jetziger Tanz ist – wenn auch mal ein schmerzhafter. Und dass der abstrakte Expressionismus, der Emotion, Farbe und Form so konzentriert ins Zentrum setzt, zeitlos ist.

Erst spät fällt mir auf Gunhilds Notizen ein zweiter Ausstellungstitel auf: „und wenn es anders wäre“. Vergessen Sie also für Ihre Betrachtung der Arbeiten alles, was ich Ihnen so dahergesagt habe. Schauen Sie sich um, als wenn alles ganz anders wäre. Denn erst einmal sind es nur Linien und Farbe.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei und danke für Ihre Aufmerksamkeit!

 

 


exhibition view
Prussian blue_it just seems that way, doesn't it?
Öl, Graphit, Ölkreide auf Leinwand, Triptychon 300 x 140 cm, 2024
photo: Kristien Daem, Brussels

 

 

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